Am 22. Juli 2020 startete unsere dwif-Online-Reihe „Gästelenkung in touristischen Destinationen". Mit dem Thema haben wir offensichtlich einen Nerv und den aktuellen (Beratungs-)Bedarf vieler Destinationen getroffen: Trotz Ferienzeit waren die 100 verfügbaren Plätze bereits nach kurzer Zeit vergeben. Von Flensburg und Rügen im Norden bis Schwarzwald und Chiemgau im Süden, aus der Eifel und der Sächsischen Schweiz nahmen DMO-Manger*innen aus ganz Deutschland teil.
Für alle, die keinen Slot bekommen haben, folgt hier nun unsere Zusammenfassung der ersten Veranstaltung samt Link zur Aufzeichnung. Die Termine für Part II und III stehen auch schon fest!
Unsere Moderatorinnen Maike Berndt und Dr. Andrea Möller aus dem Destinationsmanagement-Team brachten zu Beginn auf den Punkt, was wir unter Gästelenkung verstehen. Unser umfassendes Verständnis geht dabei weit über das reine Verhindern von Crowding-Phänomenen hinaus und muss stets auch eine Wertschöpfungsperspektive verfolgen.
In ihrem Intro zeigten die beiden auf, wie eine fundierte Datenbasis dabei helfen kann und wie dynamisch sich vor allem die Datenwelt zur Analyse von Gästestrukturen, Gästeströmen und -frequenzen in den letzten Jahren entwickelt hat. So hat sich das für die Gästelenkung zur Verfügung stehende Instrumentarium mit der Digitalisierung stark erweitert. Und vieles davon ist nicht neu. Monitoring-Daten stehen schon lange zur Verfügung: aus der amtlichen Statistik, dem Meldewesen, Zählungen und Befragungen vor Ort, die ein Besuchermonitoring erlauben – meist jedoch nur ex post.
Realtime-Erkenntnisse, die eine Lenkung in Echtzeit ermöglichen, gibt es jedoch erst seit dem Einzug digitaler Erhebungsmethoden. Und auch hier ist allein die Fülle der Möglichkeiten eine große Herausforderung. Die Erfassung von Gästeströmen, -frequenzen, - bewegungsmustern ist eine echte Big-Data-Angelegenheit. Welche Methode eignet sich für meine Destination? GPS-Tracking über die eigene App? Doch lieber Bewegungsdaten über Mobilfunk oder Google Maps? Der Einsatz von Zählsensoren, Handyortung oder TouristCards?
Nie waren der Markt für entsprechende Technologien größer und die Möglichkeiten stärker ausdifferenziert. Auf der einen Seite erschwert das den Überblick. Auf der anderen Seite bietet sich aber auch die Chance, besser auf individuelle Fragen und Bedarfe der Destinationen einzugehen.
Die gute Nachricht: Viele Erfahrungen aus unserem Beratungsalltag zeigen, dass alle Instrumente, richtig angewandt, grundsätzlich valide sind. Das Instrumentarium zur Gästemessung ist also in sich konsistent. Trotzdem muss jede Destination auf ihre spezifischen Rahmenbedingungen und Herausforderungen schauen:
Es gibt nicht die eine wahre oder richtige Methode oder Quelle. Verfügbare Datenquellen müssen jeweils entsprechend der Problemlage evaluiert und ausgewählt werden. Dabei sind Datenerhebungen je nach Methode leider zum Teil sehr teuer (z. B. Laserscanner), womit die gegebenen finanziellen Ressourcen die Möglichkeiten der Datengewinnung limitieren. Auch die Schwächen und Grenzen der Instrumente sollten im Blick behalten werden (z. B. die Schätzung der Marktanteile anderer Mobilfunkanbieter zur Ableitung der Gesamtheit der Mobilfunkdaten).
Was es besonders schwierig macht: Keine Entscheidung ist in Stein gemeißelt und für die Ewigkeit gedacht. Die hochdynamische Entwicklung – die nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie weiter an Fahrt aufnehmen wird – verlangt von den DMO die Bereitschaft zu großer Offenheit für ggf. notwendige Systemwechsel sowie die Integration neuer Technologien.
Nach Erfahrung von Stefan Huber ist dies eng verknüpft mit einer in der Destination glaubwürdig gelebten Fehlerkultur und der Bereitschaft, Dinge (agil) auszuprobieren. Das Beispiel der Alpenregion Tegernsee-Schliersee zeigt eindrucksvoll, wie wichtig spezifisch dafür geschaffene Personalstellen sind: Der dort zuständige Produktmanager Datenmanagement & Digitalisierung, Holger Wernet, ist ein echter Data Scientist, der die wichtigste Voraussetzungen für diesen Job mitbringt: Datenaffinität, Technologiekompetenz und Lust auf das Ausprobieren neuer Tools und Datenquellen. So schafft es die Alpenregion, ihren Ansatz auch erfolgreich anzugehen: Ein 360-Grad-Blick bei der Problemanalyse und eine geplante Echtzeitmessung von Gästedaten.
Wichtig ist: Statt aktionistischer Schnellschüsse sollte das Thema umfassend und von der DMO mit allen betroffenen Dienstleister*innen an einem Tisch und mit den möglichen Optionen diskutiert werden. Das war das Credo aller Teilnehmer*innen unserer ersten Runde. Natürlich bedeutet das nicht, auch mal kurzfristig aktiv zu werden und sich – ganz im o.g. Sinne – zu trauen, schnelle Lösungen für ein Problem zu finden. Der Ausflugsticker aus Bayern ist ein gutes Beispiel, selbst wenn er zunächst auf Informationen von analogen „Zählkräften“ vor Ort angewiesen ist. Für nachhaltige Lösungen müssen jedoch IT-Agenturen und Technologiedienstleister, POIs, Verkehrsplaner, Parkplatzbetreiber und andere Stakeholder mit am Tisch sitzen, um sukzessive eine gesamtheitliche Vorgehensweise zu entwickeln.
Ein gewisses Aha-Erlebnis für die Zuhörer*innen könnte die Feststellung gewesen sein, dass die Gästelenkung kein isoliert digital zu lösendes Problemfeld ist, sondern in eine gesamthafte Digitalstrategie eingebettet sein sollte. So wurde das Thema einer datenbasierten Gästelenkung für die Alpenregion Tegernsee-Schliersee eher nachträglich in die ohnehin schon beschlossene Digitalstrategie integriert. Schon länger ist klar, dass die vielen isolierten Datensilos zugunsten einer gemeinsamen Contentplattform aufgelöst werden müssen. Probleme bekommen dürften deshalb vor allem die Destinationen, die auch beim Contentmanagement bisher vieles auf die lange Bank geschoben haben. Sie müssen sich nun mehreren Herausforderungen parallel stellen.
Dabei sollten sich DMO-Manger*innen klar machen, dass viele Echtzeitdaten, die mit der Intention Gästelenkung gesammelt werden, gleichzeitig auch die Online-Sichtbarkeit betreffender POI und Angebote erhöhen. Das beginnt bei aktuellen Öffnungszeiten – in Corona-Zeiten wichtiger denn je – über aktuelle und wechselnde Veranstaltungen bis hin zu Aussagen zum Gästeaufkommen in Echtzeit (das Google & Co. in ihren Knowledgegraphen bisher aus anderen Quellen speisen). Das alles erhöht den Wert jedes touristischen Contents. Damit zahlt gerade auch die Gewinnung von Echtzeitdaten für die Gästelenkung – möglichst als Open Data – auf den Gesamterfolg des Onlinemarketings von Destinationen ein.
Besonders spannend war (vor dem Hintergrund stetig wachsender digital-technologischer Möglichkeiten der Datengewinnung,-vernetzung und -verarbeitung) die Empfehlung von Klaus Schön und Stefan Huber, achtsam mit den Möglichkeiten umzugehen, massenhafte Gästemessungen mit den personalisierten Hintergrunddaten z. B. von Gästekarten-Nutzer*innen zu verschneiden.
Auf den ersten Blick erscheint es bestechend, vielen massenhaft erfassten Besucher*innen individualisierte Pushnachrichten mit alternativen Ausflugszielen zukommen lassen zu können, die genau deren Präferenzen treffen. Das wäre technologisch – wenn auch mit hohem Aufwand – möglich, stellt aber den empfindlichen Datenschutz in Frage. Denn jede*r Nutzer*in muss solchen Verfahren aktiv zustimmen. Destinationen sollten darauf achten, ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verspielen. Nicht alles was machbar ist, ist für die Problemstellung also auch sinnvoll.
Datenbasis für eine erfolgreiche Gästelenkung |
Welche Daten gibt es, welche Daten braucht man, wie entsteht ein umfassendes Gesamtbild? |
22. Juli 2020 |
Gästelenkung – Bilanz und Erfahrungen aus dem "Corona-Sommer" 2020 |
Wie lief die Gästelenkung in den Destinationen im Corona-Sommer 2020 und welcher Handlungsbedarf lässt sich daraus ableiten? |
22. September 2020 |
Gästelenkung – Blick in die Zukunft |
Welche Lösungen brauchen wir künftig für die Gästelenkung? |
18. November 2020 |
Der frisch erschienene DTV-Leitfaden „Tourismus digital“ für Destinationen widmet sich in seiner dritten Ausgabe gezielt digitalen Tools, die sich in der Corona-Pandemie als besonders hilfreich erwiesen haben.
Unsere Kolleginnen Dr. Andrea Möller und Maike Berndt fassen darin in einem Artikel prägnant zusammen, warum Besucherströme zu lenken, seit COVID-19 zu den drängendsten Aufgaben in Destinationen gehört. Denn digitale Gästelenkung unterstützt nicht nur die Lösung von Crowding-Problemen, sondern muss als Teil einer umfassenden Wertschöpfungsperspektive gedacht werden.
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